Die Erdbeben in der Türkei, Syrien und Kurdistan sind mitlerweile vier Tage her. In diesen vier Tagen wurde immer wieder deutlich, wie Staaten solche Katastrophen einerseits erst ermöglichen und andererseits im nachhinein ausnutzen.
Einschränkung der Berichterstattung
Die Methoden des türkischen Staats dafür reichen von unterlassener Rettung für ganze Städte, über beschlagnahmte Hilfslieferungen, bis hin zur anhaltenden Bombardierung von Nord-Ost-Syrien (siehe die Artikel vom 7. und 9. Februar). Um das Leid und die Hilferufe der Bevölkerung zu vertuschen, ließ die Regierung am Mittwoch für mehrere Stunden Twitter sperren.¹ Mehrere Journalist*innen, die das Versagen des Staates in den Erdbebenregionen dokumentierten, wurden festgenommen.²
Obwohl die Berichterstattung in der Türkei extrem eingeschränkt und durch staatliche Propaganda verzerrt ist, war für viele Menschen von Anfang an klar, dass sie sich nicht auf die Herrschenden verlassen können und die Katastrophenhilfe in die eigenen Hände nehmen müssen.
Selbstorganisierte Hilfe der Bevölkerung
Schon am Dienstag entschieden Bergarbeiter*innen in der Provinz Adiyaman mit ihren eigenen Geräten Menschen aus den Trümmern zu befreien, nachdem über 36 Stunden nach dem Beben noch immer keine staatliche Hilfe in der Stadt angekommen war³, selbst aus dem 1000 km weit entfernten Zonguldak reisten Bergleute gegen den Willen ihrer Chefs an um sich an den Rettungsmaßnahmen zu beteiligen⁴. Auch in der Provinz Mardin, die weniger stark vom Erdbeben getroffen wurde fanden sich Jugendliche zusammen und bildeten Hilfsteams, um organisiert in die Regionen zu gehen, in denen ihre Hilfe gebraucht wird Vielerorts beteiligt sich die gesamte Gesellschaft daran solidarisch mit der Katastrophe umzugehen. Menschen rücken in den verbliebenen Häusern dichter zusammen oder bauen Zelte aus Planen, damit niemand der extemen Kälte ausgeliefert ist⁵.
Während der Staat selbstorganisiserte Hilfslieferungen beschlagnahmt, anstatt sie zu den Menschen zu bringen, helfen sich die Menschen gegenseitig so gut sie können. Die verbliebenen Bäckereien backen rund um die Uhr Brot, um es zu spenden, wie es aus der Stadt Derik in der Region Cizre berichtet wird⁵ ⁷. Selbst Gefangene des Kırıklar-Gefängnis in Izmir haben einige ihrer Kleidungsstücke in die Erdbebengebiete geschickt⁹.
Demokratische Kräfte stellen Katastrophenhilfe in den Vordergrund
Während der türkische Staat die Katastrophe ausnutzt, um ihren Krieg gegen die Selbstbestimmung der Gesellschaften voranzutreiben, nehmen die demokratischen Organisationen Kurdistans, Syriens und Türkei die Lage ernst:
Obwohl das türkische Militär noch am Donnerstag Stellungen mit verbotenem Giftgas und anderen schweren Waffen angegriffen hatte, rief der Exekutivrat der KCK (Gemeinschaft der gesellschaften Kurdistans) alle ihre militanten Kräfte auf, die Waffen solange ruhen zu lassen “bis das Leid der Bevölkerung gelindert ist und die Wunden geheilt sind.”¹⁰ Auch die Guerilla (HPG) gab bekannt sich nur noch gegen türkische Angriffe zu verteidigen.¹⁷ Dieser Schritt ist insofern bemerkenswert, da es seit 2015 und dem Ende des letzten Waffenstillstandes keine Zeit mehr ohne militärischen Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der Guerilla gegeben hatte, und gerade das letzte Jahr von Kriegsverbrechen der türkischen Armee geprägt war. Die türkische Armee greift weiterhin die Stellungen der Guerilla an und beweist damit, dass die Regierung nicht an einem Waffenstillstand angesichts der momentanen Notlage interessiert ist.¹¹
Anstatt die Lügen und das Versagen der Regierung bloß für den eigenen Wahlkampf auszunutzen stellte die Demokratische Partei der Völker (HDP) diesen ein, um den Menschen in der Türkei so gut wie möglich zu helfen. Die lokalen Wahlkoordinierungszentren wurden in Krisentische umgewandelt, die rund um die Uhr Notrufe entgegen nehmen, Hilfsdelegationen organisieren und Sachspenden sammeln.¹²
Die Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien bat der Türkei ihre Hilfe an und schickte bereits am Dienstag LKWs mit Öl und Diesel in die besetzten Gebiete West-Syriens, da dort wie auch in der Türkei teilweise Temperaturen unter 0 Grad herrschen. Kurz nach dem Erdbeben wurden Öl und Diesel zum Heizen zur Mangelware. Die LKWs werden allerdings seit Dienstag von der türkischen Armee und islamistischen Milizen nicht durchgelassen. Quellen in den besetzten Gebieten erklärten gegenüber der Nachrichtenagentur Rojava Network, dass mit der Türkei verbündete islamistische Milizen die Anordnung bekommen hätten das Feuer zu eröffnen, sollte versucht werden Hilfslieferungen aus der Autonomen Administration in die besetzten Gebiete zu liefern.¹⁹ Aus der besetzten Stadt Afrin zeigen Bilder ein überfülltes Krankenhaus in dem Leichen auf den Fluren liegen.¹³
Staaten vereinnahmen gesellschaftliche Katastrophenhilfe
Dass die gesellschaftliche Katastrophenhilfe besser funktioniert als die staatlich gelenkte, scheint auch den verschiedenen staatlichen Einrichtungen bewusst geworden zu sein. So lässt das syrische Regime seit Samstag einen Hilfskonvoi des Kurdischen Roten Halbmonds (Heyva Sor a Kurdistanê) nicht in die Region Şehba einfahren, die zur Autonomen Administartion Nord- und Ostsyrien gehört, und fordert die Non-Profit-Organisation auf, die Hälfte der Hilfsgüter an den Staat abzugeben. Fee Baumann, eine deutsche Mitarbeiterin bei Heyva Sor berichtete in einem Video: “Sie haben uns gesagt, dass alle Organisationen die aus dem Nordosten kommen [..] mindestens die Hälfte der Hilfsgüter abgeben müssen an das syrische Regime, sonst werden sie nicht weitergelassen.“¹⁶
Auch in der Türkei wurde Teams der der staatlichen Katstrophenschutzbehörde AFAD dabei beobachtet, wie sie sich mit durch die Gesellschaft gerettete Personen fotografieren lassen oder absichtlich vor laufenden Fernsehkameras arbeiten oder teilweise auf Fernsehteams warten, bevor sie anfangen Menschen in den Trümmern zu suchen.
Doch nicht nur Vereinnahmung sondern auch aktive Repression gegen Helfer*innen ist an der Tagesordnung. So wurden in Adiyaman fünf Jugendliche, die aus der kurdischen Stadt Amed zum Helfen in die Region gekommen waren, nachdem sie eine Leiche aus einem Gebäude geborgen hatten von der Polizei festgenommen, zusammengeschlagen und nackt am Stadtrand ausgesetzt wie die Nachrichtenagentur Mezopotaya Ajansi berichtet.²⁰
Verfolgung von mutmaßlichen Plünderern und Rassismus gegen Geflüchtete
In sozialen Netzwerken finden sich Videos, die zeigen, wie Polizisten, Militär und Zivilisten Personen auf offener Straße festhalten, zusammenschlagen oder schwer misshandeln. Dies wird gerechtfertigt indem behauptet wird, diese hätten eingestürzte Häuser oder Läden geplündert. Oft sind die Opfer dieser Hetzjagten Geflüchtete aus Syrien oder andere benachteiligte Personen. Während es anscheinend auch bandenmäßige Plünderungen zu geben scheint die von islamistischen Milizen ausgeht die von der türkischen Regierung in Syrien unterstützt werden, wir zwischen diesen und Personen die keine andere Möglichkeiten haben an essen zu kommen nicht unterschieden. Die rechte türkische Regierung aus AKP und MHP und ihre faschistischen Anhänger*innen versuchen dadurch aktuell die berechtigte Wut der Menschen, die alles verloren haben auf rassistische Feindbilder umzulenken und so vom eigenen Versagen abzulenken.
Bis jetzt wurden über 28.000 Tote registriert, wobei die Dunkelziffer deutlich höher ist und in den nächsten Tagen noch steigen wird. Die staatlichen Maßnahmen in Syrien, der Türkei oder in den besetzten Gebieten haben in erster Linie nicht das Ziel, Verschüttete zu retten oder die Überlebenden vor Kälte und Hunger zu schützen. Erst die Abkehr vom Staat und die Zusammenkuft der Menschen auf Augenhöhe ermöglicht echte humanitäre Hilfe und einen angemessenen Umgang mit solchen Katastrophen.
Daher bitten wir euch weiterhin an die Organisationen zu spenden, die vor Ort Hilfe leisten:
Deutschland:
Heyva Sor a Kurdistanê e.V.
Kreissparkasse Köln
Wilhelmstr. 12
53840 Troisdorf
IBAN: DE49 3705 0299 0004 0104 81
BIC/SWIFT: COKSDE33XXX
Oder über Paypal:
www.paypal.me/heyvasorakurdistane
Schweiz:
Kurdistan Roter Halbmond Schweiz (Croissant Rouge du Kurdistan Suisse)
Rue des Savoises 15, 1205 Genève
Banque Cantonale Vaudoise (Kantonalbank)
Konto N°: 10-725-4
IBAN: CH62 0076 7000 L543 3416 5 BIC/SWIFT: BCVLCH2LXXX
Österreich:
Roja Sor a Kurdistanê
Brünner Straße 130-134/3/8, 1210 Wien
BAWAG
IBAN: AT751400003010314274
BIC: BAWAATWW
Konto No: 030 103 14 274 BLZ : 14 000
rojasor-osterreich.org
Frankreich:
Association Humanitaire Soleil Rouge – RojaSor
CIC TROYES HOTEL DE VILLE
IBAN: FR7630087335000002074770150
BIC/ SWIFT: CMCIFRPP
Niederlande:
Stichting Koerdische Rode Halve Maan (Heyva Sor a Kurdistanê)
Fokkerstraat 539 Links, 3125 BD Schiedam
Schweden:
Insamlingsstiftelsen Kurdiska Röda Solen (Roja Sor a Kurdistanê)Ankdammsgaten 33, 171 67 Solna
Org nr. 802481-5782
SWISH:123 40 138 68
BANK GIRO: 5589-7672
IBAN: SE04 5000 0000 0537 4106 6753
BIC: ESSESESS
England:
Kurdish Red Moon (Heyva Sor a Kurdistanê)
Fairfax Hall 11 Portland Gardens London N4 IHU
Registered Charity No: 10 93 741
Company No: 42 85 714
The Co-operative Bank
Bank Sort code: 089299 | Bank Account No: 65863091
IBAN: GB55 CPBK 0892 9965 8630 91
BIC: CPBK GB22
Norwegen:
Kurdiske Røde Halvmåne Norge (Heyva Sor a Kurdistanê)
Hausmanns gate 6 0186 Oslo / Norge
Organisasjonsnummer: 009124. 84734
VIPPS: 21957
DNB BANK ASA OSLO
IBAN: NO 15 1503 4052 953
BIC/ SWIFT: DNBANOKKXXX
Italien:
Mezzaluna Rossa Kurdistan Italia ETS (Heyva Sor a Kurdistanê)
Via Forte dei Cavalleggeri,53 Livorno
Banca Etica
IBAN: IT53 R050 1802 8000 0001 6990 236
BIC/ SWIFT: ETICIT22XXX
www.mezzalunarossakurdistan.org
Belgien:
ASBL Croissant Rouge du Kurdistan- Koerdische Rode Halve Maan VZW
Gospertstr. 78, 4700 Eupen
Numéro d’entreprise:465 073 725
BNP PARIBAS FORTIS
IBAN: BE04 0013 2448 9631
BIC/SWIFT : GEBABEBB
www.koerdischerodehalvemaan.be
Japan:
Kurdistan Red Moon – Heyva Sor a Kurdistanê – ( クルディスタン 赤月)
Saitama ken kawaguchi shi shiba shinmachi 8-22 Sanko build 501 ( 埼玉県川口市芝新町 8 ー 22 三幸
ビル 501)Tlf: +81 90 2149 9979
JP BANK
Konto Nr:10100 – 56545271
Quellen:
[1] https://www.deutschlandfunk.de/twitter-sperrung-erdogan-macht-ernst-100.html
[2] https://www.mlsaturkey.com/en/turkey-journalists-detained-reporting-on-earthquake-aftermath/
[4] https://twitter.com/MartinGlasenapp/status/1624729741570736128
[5] https://twitter.com/KeremSchamberg/status/1623952832125714433?s=20
[7] https://t.me/nuceciwandeutsch/7349
[8] https://www.nuceciwan119.xyz/de/2023/02/10/106240/
[9] https://www.nuceciwan119.xyz/de/2023/02/10/106245/
[10] https://kck-info.com/interview-bayik-feb1023/
[11] https://www.nuceciwan119.xyz/de/2023/02/11/106288/
[12] https://anfdeutsch.com/aktuelles/hdp-stellt-wegen-erdbeben-aktivitaten-ein-36226
[13] https://twitter.com/renas_agree/status/1623112455801937920?s=12&t=86itDpF-s5Pw_wWYx6RUxQ
[14] https://youtu.be/LACnKmjNOHs
[16] https://twitter.com/civaka_azad/status/1624706569236520960?s=20
[17] https://www.nuceciwan119.xyz/de/2023/02/12/106353/
[19] https://twitter.com/RojavaNetwork/status/1624727017064132609
[20] http://mezopotamyaajansi35.com/tum-haberler/content/view/198012