“Die Kriege der Zukunft werden um Wasser geführt.” Diese Warnung hören wir immer wieder, wenn es um die Folgen des Klimawandels geht. Diese dystopische Vorstellung gehöre für Menschen, die in den kapitalistischen Zentren der gemäßigten Klimazone leben zu fernen Zukunftsszenarien, die frühstens unsere Enkel und Urenkel erleben werden, und auch dann nur im globalen Süden. Dabei wird dieser Wasser-Krieg schon hier und jetzt geführt. Zuletzt in der Nähe des westfranzösischen Dorfs Sainte-Soline.
Bei Sainte-Soline entsteht gerade ein gigantisches Becken, das Wasser für die Agrarindustrie speichern soll. In Frankreich gibt es schon tausende der sogenannten Mega-Bassines. Und tausende sollen noch folgen.
Diese Mega-Bassines sind keine normalen Stauseen, die die Bäuerinnen und Bauern durch die immer heißer und trockener werdenden Sommer bringen. Das Wasser wird aus dem Grundwasser an die Oberfläche gepumpt. Dadurch trocknen natürliche Flüsse, Seen und Moore aus. Mit ihnen sterben riesige, über Jahrtausende gewachsene Ökosysteme in kürzester Zeit ab. Die hunderte Quadratmeter großen Gruben werden mit Plastikfolie verkleidet, damit das Wasser nicht in der Erde versickern kann. Im Sommer wird das privatisierte Wasser ausschließlich großen konventionellen Konzernen zur Verfügung gestellt.
Vergangenen Sommer herrschte in rund 2000 französischen Kommunen Wassermangel. Die Hälfte davon musste sich Wasser in Tanklastern liefern lassen. In 15 der 101 Departements ist der Wasserverbrauch von Einzelpersonen bereits eingeschränkt. Dort dürfen die Menschen beispielsweise ihre Gärten nicht mehr bewässern.
Die Dürren sind offensichtlich eine Folge des globalen Klimawandels. Sie werden jedoch lokal absichtlich verschärft. Der Natur und den Menschen wird das Wasser, das noch übrig ist, buchstäblich entzogen.
Am 25. März fand eine Demonstration mit über 20.000 Teilnehmenden statt. Ein großer Teil des Protests rückte von der angemeldeten Route ab, um die Baustelle des Mega-Bassines zu stören und zu besetzen. Die Polizei war jedoch mit einem Großaufgebot vor Ort, um das Loch zu beschützen. Die Beamt*innen begannen mit Tränengas- und Schockgranaten in die Menge zu schießen, was in Frankreich eine gängige Taktik ist, um Demonstrationen aufzulösen. Jedoch schossen sie gezielt und systematisch auch auf die Köpfe der meist jungen Leute. Menschen, die vor Ort waren sprechen von traumatisierenden Szenen, da sie miterlebten, wie ihre Mitstreitenden reihenweise zu Boden gingen. Einige lagen mit offenen Brüchen beinahe stundenlang auf den Feldern, auf denen die Schlacht stattfand. Demosanitäter*innen berichteten später von etwa 200 Verletzten, darunter 40 Schwerverletzten. Mindestens zwei Menschen lagen tagelang im Koma und schwebten in Lebensgefahr. Die Umweltaktivist*innen wehrten sich mit Feuerwerk, Steinen und Molotowcocktails. Ein zweiter Versuch, das Loch zu erreichen wurde jedoch verworfen. Vor allem weil so viele Personen verletzt wurden und die Sanitäter*innen keine Kapazitäten mehr hatten.
Warum aber war die Polizei dazu bereit, Menschen zu töten, die auf diese Baustelle wollten?
Einerseits müssen wir die generelle politische Situation Frankreichs betrachten. Die Proteste gegen die Rentenreform und gegen die autoritäre Regierung Macrons, die diese ohne Abstimmung im Parlament durchgedrückt hat, halten vor allem in den französischen Großstädten weiter an und verstärken sich immer mehr. Aus dem anfangs hauptsächlich gewerkschaftlichen Ruf gegen spätere und geringere Renten wurde ein Aufstand gegen die neoliberale Regierung. Mit ihr verliert der Staat und die Polizei, die immer wieder Proteste und Streiks niederschlägt, zunehmend an Legitimierung in der Gesellschaft. Der Staat tut nun alles, um seine Macht als unantastbar darzustellen. Eine Besetzung des Mega-Bassines hätte ein weiteres Mal bewiesen, dass die Menschen ihre Interessen gegen den Staat durchsetzen können. Die massive Polizeigewalt galt aber nicht nur den Umweltaktivist*innen auf den Äckern von Sainte-Soline, sondern ist auch als Drohung gegenüber der landesweiten Massenbewegung gegen die Regierung zu verstehen. Die Proteste gegen die Mega-Bassines war schon länger mit der Arbeiter*innenbewegung verbunden, indem auch Bauerngewerkschaften gegen die Monopolisierung und Privatisierung des Wassers mobilisierten. Die Polizeigewalt vom 25. März sowie die Militanz dagegen führte zu etlichen Solidaritätsbekundungen durch die französische Arbeiter*innenbewegung. Einmal mehr haben sie und die Ökologiebewegung erkannt, dass sie gegen den gleichen Feind kämpfen und nur gemeinsam siegen werden.
Andererseits ist Wasser die Grundlage des Lebens. Wer zu wenig Wasser hat, verdurstet oder verhungert und ohne Wasser kann kein neues Leben entstehen. Angesichts der immer stärkeren Dürren wird auch die Kontrolle des Wassers eine zentrale Frage der Gesellschaft. Während das Wasser auf natürliche Weise überall fließt, wo es kann und somit allen Lebewesen zur Verfügung steht, nutzen kapitalistische Konzerne die fortlaufende Wasserknappheit aus. Wasser gilt in ihrem System nicht als Allgemeingut, sondern bloß als immer wertvollere Ressource, die angeeignet und verwertet werden muss. Dafür nehmen sie der Umwelt und der Bevölkerung faktisch ihre Grundlage, indem sie das Grundwasser der Erde entziehen und allein für ihre industrielle Produktion behalten. Von dem Mega-Bassine in Sainte-Soline würden bloß vier Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe Wasser beziehen dürfen.
Der militante Versuch, die Baustelle in Sainte-Soline zu besetzen war ein erster Gegenangriff der betroffenen Bevölkerung. Die Menschen wehren sich gegen diese Ausbeutung ihrer Lebensgrundlage und kämpfen damit für das freie Leben aller Lebewesen. Der Staat bewies dabei einmal mehr, auf wessen Seite er steht. Das Mega-Bassine wird zu 70% durch Steuergelder finanziert. In Form der Polizei ist er dafür zuständig die ausbeuterischen, lebensfeindlichen Pläne der Reichen militärisch durchzusetzen. Wenn es sein muss, geht er dafür auch über Leichen.
Frankreich ist in diesem Krieg um das Wasser allerdings nicht der einzige Schauplatz vor unserer Haustür. Auch in Griechenland kündigt sich die nächste Schlacht im Wasser-Krieg an. Im März stellte die liberal-konservative Regierung ein neues Gesetz vor, dass zur vollständigen Privatisierung des Wassers führen würde. Es sieht vor, dass die staatlichen Ministerien jegliche Verantwortung für die Wasserversorgung und das Abwassersystem an die “unabhängige” Behörde PAE abgeben. Die Regierung versucht die Bevölkerung zu täuschen und zu beruhigen, indem sie behaupten, dass dies nicht zur Privatisierung führen würde. Die PAE gibt aber auf ihrer Webseite die “Liberalisierung der Märkte” als Hauptziel an. Vor allem Jugendliche glauben den Herrschenden also kein Wort. Sie wissen, dass “Liberalisierung” bedeutet, ihre Lebensgrundlage der irrationalen Profitmaximierung von Konzernen zu unterwerfen. Sie fürchten daher steigende Preise und schlechtere Wasserqualität. Vergangenen Sonntag fand in Thessaloniki ein großes Protest-Konzert statt. Unter dem Slogan “Verteidigt das Wasser” (“Υπερασπίσου το Νερό”) fanden sich zehntausende Menschen zusammen und bekannte Musiker*innen machten mit ihren Auftritten auf die Pläne der Regierung aufmerksam.
Zu dem Protest in Saint Soline, haben wir heute auch einen Audio-Bericht eines Aktivisten veröffentlicht, diesen findet ihr auf unserem Telegramchannel: t.me/JugendInfo